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Farbwirkung: Weiß

Weiß gilt allgemein als neutral, sachlich, funktional, modern und erfrischend schlicht. Es wird mit Makellosigkeit, Licht und Reinheit assoziiert. Mit weißen Wänden haben viele das Gefühl, sich nicht festlegen zu müssen. Vergessen wird dabei, dass es eine Vielzahl an Weißtönen gibt, die meist einen viel neutraleren Hintergrund abgeben würden, als kaltes, industriell hergestelltes Weiß. Nach meinem letzten Beitrag bekam ich einige Anfragen, ob ich mehr zum Thema Weiß berichten kann. Willst du mehr über die „Nichtfarbe“ wissen? Hier mein Plädoyer, das Standardweiß zu hinterfragen.

Ist Weiß eine Farbe?

Jein. Weiß ist aus physikalischer Sicht keine Farbe, da es sich aus der Summe aller Lichtfarben ergibt. Aus psychologischer Sicht muss Weiß hingegen durchaus als Farbe betrachtet werden. Die Philosophen streiten sich bis heute, ob Weiß nun eine Farbe ist oder nicht. Den Künstlern galt Weiß schon immer als Farbe, wenngleich auch als eine achromatische, das heißt farblose Farbe. Von diesem Verständnis aus wird Weiß häufig auch als Nichtfarbe bezeichnet.

Statussymbol reines Weiß

Reinweiß erfüllt zum Teil immer noch die Rolle eines Statussymbols. Man muss es sich leisten können, sein weißes Auto regelmäßig waschen zu lassen oder die Zeit haben, weiße Kleidung entweder selbst ständig zu hegen und pflegen (hier wird dann gerne zu nicht unbedenklichen Substanzen mit aufhellender Wirkung gegriffen), oder aber man ist (außerhalb von Covid19 Zeiten) Stammgast in der Reinigung. Verschmutzes Weiß versprüht nunmal leider keinen elitären Appeal.

Weißer als Weiß

Häufig ist das, was wir heutzutage als Weiß verstehen, „weißer als Weiß“. Papier und Textilien werden in der Regel mit Chlor gebleicht. Kopierpapier ist beispielsweise dennoch nicht hochweiß. Werden optische Aufheller verwendet, kann es vielen einfacheren Farblesegeräten Mühe machen, den Farbton eines weißen Blatt Papieres zu erkennen. Hochweißes Papier ist fluoreszierend, das heißt bei Bestrahlung mit Licht selbst leuchtend.

Schwarz auf Weiß

Wenn wir etwas Wichtiges kundgeben wollen und möchten, dass es seriös wirkt, dann setzen wir nach wie vor meist schwarze Schrift auf weißen Grund. Das hat nicht nur psychologische und kulturelle Bedeutung, sondern ist auch der Tatsache zu schulden, dass schwarze Typografie auf weißem Hintergrund aus der Nähe am leichtesten zu lesen ist. Für gute Lesbarkeit ist ausreichender Kontrast essentiell. (Die bessere Fernwirkung erzielt Schwarz auf Gelb.) Hartes Schwarz-Weiß strengt unser Auge allerdings auf Dauer zu sehr an. Deshalb werden die meisten Bücher auch auf ungebleichtem Papier gedruckt. Die Vergilbung, das visuell erkennbare Merkmal des Alterungsprozesses von Textilien, Papieren, Kunststoffen etc., verschiebt die Farbwirkung dann auf natürliche Weise immer weiter Richtung Gelb.

Weiß ist alle Theorie

Schon Goethe schreibt im Faust „Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, Kann man getrost nach Hause tragen.“ und holt wenige Zeilen später aus „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, Und grün des Lebens goldner Baum.“ Ich sage Weiß ist alle Theorie, denn reines Weiß gibt es nur theoretisch. Was wir gemeinhin als Reinweiß verstehen, ist meist bläulich. Hat Weiß einen Gelbstich oder geht es ins Rötliche, empfinden wir das zumindest bei Textilien und auf Fotografien häufig als störend. Völlig reines Weiß lässt sich im Übrigen nicht herstellen. Es ist genauso wie völlig reines Schwarz als theoretisches Polaritäten-Extrem aller Farbsysteme zu betrachten. So startet das Weiß der Standard NCS-Farben bei 3% Schwarzanteil und auch das reinste RAL-Weiß hat keine Eigenhelligkeit von 100%.

Das Weiß der Moderne

Ein weit verbreiteter Irrtum ist es auch, das Weiß der Moderne mit dem Industrieweiß von heute zu vergleichen. Erstens wurde damals nicht das heute als Standardweiß eingebürgerte Titanweiß, sondern noch natürliche Pigmente eingesetzt. Die Weißtöne der Moderne waren Kreidefarben und somit deutlich weicher, meist wärmer und vegrauter sowie niemals blendend. Was damals als Weiß verstanden wurde, würden wir heute eher mit Elfenbeinweiß beschreiben.

Zweitens muss der Kontext betrachtet werden, wenn wir Schriften Le Corbusiers oder Adolf Loos´ lesen. Diese beiden Gestalter lebten zu einer Zeit, in welcher der Schönheitsbegriff noch stärker von Idealen des Klassizismus und der überbordenden Ornamentik des Jugendstils geprägt war. Der Jugendstil hatte sich wiederum zum Ziel gesetzt, den aus damaliger Sicht übertriebenen Ordnungswahn und die opulente, die Antike nachahmende Dekoration des Klassizismus durch eine natürlichere und modernere zu ersetzen.

Mythos weiße Architektur

Entgegen der allgemeinen Ansicht plädierten weder Le Corbusier noch das Bauhaus für eine weiße Architektur, wie sie heute verstanden wird. Obwohl viele der Gebäude der damals modernen Architektur weiß gestaltet waren, so gab es dennoch mehr, denen ein chromatisches Farbkonzept eigen war. Le Corbusier verwies ausdrücklich darauf, dass reines Weiß keine geeignete Hintergrundfarbe sei. Nun haftet Le Corbusiers Thesen für meinen Geschmack etwas zu viel Dogmatismus an. Ich möchte euch auch nicht vorenthalten, dass er der Meinung war, dass Farbe ihre Berechtigung in der Architektur hat, dass sie allerdings nicht ablenken sollte. Farbe solle die Architektur unterstreichen, ihr dienen. Er schlug vor, Volumina einfarbig zu gestalten und Vielfarbiges ausschließlich auf Flächen anzuwenden. Uns muss bewusst sein, dass hier der Teil seiner Architektenseele aus ihm sprach. Le Corbusier hatte ein exzellentes Gefühl für Farben.

Die weiße Wand ist unantastbar

Ich bin nicht der Meinung, dass Wände ausschließlich ganzflächig mit Farbe bespielt werden müssen. Die reinweiße Wand ist mir persönlich in den meisten Fällen einfach zu streng und unpersönlich. Weiße Wände sind auch nicht unbedingt familienfreundlich. Jede Berührung kann zum Schandfleck werden. Für mich wirken hartweiße Wände, als ob sie pausenlos schreien würden: „Fass mich nicht an!“ In öffentlichen Gebäuden kann das durchaus gewünscht sein. Wir nähern uns im Museum einem Bild vermutlich vorsichtiger, wenn es auf reinweißen Wänden prangt. Wahren Kunstgenuss stelle ich mir allerdings anders vor. Es gibt so viel spannendere und auch neutralere Wandfarben, um einen würdigen Rahmen zu schaffen.

Weiß und das Licht

In gut proportionierten, hellen Räumen mit weichem Tageslicht kann Weiß eine gute Wahl sein. Weiß reflektiert das Licht am stärksten von allen Farben. Da es jedoch ähnlich wie Gelb stark auf das Licht reagiert, kann Weiß aus Sicht eines Colour Consultants einfach nicht in schattigen Bereichen empfohlen werden. Ein dunkler Raum wird durch reines Weiß niemals hell und luftig. Vielmehr wird reines Weiß den Mangel an Licht noch betonen. Hier ist es klüger, mit bewusst gewählten Farben zu arbeiten. Das strahlend frische Weiß eines griechischen Postkarten-Fischerdorfes erstrahlt im meist fahlen Licht nördlich der Alpen nicht sommerlich, sondern wird den Großteil des Jahres deprimierend anmuten.

Warmes Weiß

Warmes Weiß ist gebrochenes Weiß. Cremeweiß oder Elfenbeinweiß wirken viel zugänglicher als reines Weiß. Diese Nuancen strahlen eine unaufdringliche, zarte Wärme aus. Warme Weißtöne haben eine Tendenz ins Gelbliche. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn einem fertig gekauftem warmen Weiß zu viel Gelb beigemischt ist, denn dann wird die Farbe sehr lichtempfindlich und häufig alles andere als freundlich wirken. Weiches Warmweiß gelingt eher, wenn Weiß mit Siena, Umbra natur oder gelbem Ocker gemischt wird.

Neutrales Weiß

Obwohl Weiß meist als neutral bezeichnet wird, gibt es nur wenige neutrale Weißtöne. Reines Weiß wirkt nicht neutral, obwohl es zumindest theoretisch keine anderen Farbanteile enthält. Unser Gehirn ist jedoch kein mathematisch ausgerichteter Farbmischcomputer. Für das menschliche Empfinden ist Neutralweiß ein Weiß, das Anteile mehrerer Farben enthält. Zwei schöne natürliche Beispiele für neutrales Weiß wären Lichtweiß, das aus Kreiden gewonnen wird, und Marmorweiß. Industriell hergestellte Weißtöne erfüllen diese Anforderungen in den wenigsten Fällen. Viel eher sind sie dahin gehend optimiert, gut zu decken, was bedeutet, dass die enthaltenen Pigmente möglichst gleich geschaltet werden müssen, um möglichst viel Licht zu reflektieren.

Kühles Weiß

Bei kühlem Weiß wird Weiß mit Grau oder Blau, manchmal auch Grün gebrochen. Die entstehenden Töne muten pur, edel und luxuriös an. Diese Weißtöne eignen sich zum Teil gut für dunklere Bereiche, da sie den Mangel an Licht besser vertuschen können als reines Weiß. Allerdings verlangen die kühleren Weißtöne deutlich mehr Feingespür für Farben als warme Weißtöne, damit sie nicht kalt und abweisend anmuten. Kühle Weißtöne passen hervorragend zum skandinavischen Einrichtungsstil. Sie sind jedoch eher für Menschen geeignet, denen nicht leicht fröstelt.

Wohnst du in Reinweiß? Und wie geht es dir damit? Was hältst du von standardweißen Wänden? Trägst du gerne weiße Kleidung? Oder fühlst du dich damit zu exponiert?

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